
Der russisch-orthodoxe Bischof Tichon ist unter anderem Leiter des Rats für Kulturfragen des Patriarchen von Moskau und gilt als enger Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin. In einem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichten Gespräch geht er auch auf die Zusammenarbeit zwischen dem russisch-orthodoxen Christentum und der katholischen Kirche ein:
„Als Vorsitzender unseres Kulturrates stehe ich in engem Kontakt zum Kulturrat von Papst Franziskus. Unsere gemeinsame Hauptaufgabe liegt darin, die christliche Identität Europas zu bewahren.“
Bereits vor einiger Zeit hatte der russisch-orthoxe Metropolit Hilarion, der aktuell Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats ist, eine strategische Allianz zwischen der katholischen Kirche und der Orthodoxie befürwortet und die katholische Kirche als „Verbündeten“ bezeichnet. Die zunehmenden Herausforderungen für das Christentum in Westeuropa würden eine solche Zusammenarbeit erforderlich machen.
Hintergrund und Bewertung
Konservative, auf die Bewahrung der jeweiligen Lehre und Tradition ausgerichtete Akteure in den verschiedenen christlichen Konfessionen, aber auch im Judentum, stehen in westlichen Gesellschaften den gleichen Herausforderungen gegenüber und vertreten im Bereich der Soziallehre meist ähnliche Positionen. Dies führt angesichts zunehmender Herausforderungen zu einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen diesen Konfessionen und Religionen.
- Papst Franziskus sprach von einer „Ökumene des Blutes“ und dem Zusammenrücken der Konfessionen angesichts der in vielen Regionen der Welt verstärkt auftretenden Christenverfolgung.
- Die Weltweite Evangelische Allianz (WEA) als wichtigster Zusammenschluss evangelikaler Christen führt seit einiger Zeit Gespräche mit der katholischen Kirche, in deren Verlauf die Beteiligten bestätigten, dass es zwischen ihnen mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes gibt.
- Im vergangenen Jahr hatten mehrere Organisationen jüdisch-orthodoxer Rabbiner in einem an Papst Franziskus gerichteten Schreiben zu einer strategischen Partnerschaft zwischen Judentum und katholischer Kirche bei der Abwehr der Bedrohung durch den politischen Islam und durch radikale laizistische Ideologien aufgerufen. Der jüdisch-orthodoxe Rabbiner Jonathan Sacks hatte entsprechende gemeinsame Herausforderungen und Interessen beschrieben.
Im Fall der Annäherung zwischen katholischer Kirche und orthodoxem Judentum ist ausschlaggebend, dass die gemeinsamen Interessen die Auswirkungen der vorhandenen Gegensätze deutlich überwiegen. Im Verhältnis zu den meisten islamischen Akteuren überwiegen hingegen die Konflikte, weshalb es hier keine relevante Zusammenarbeit gibt und wohl auch langfristig nicht geben wird. Der kürzlich ins Leben gerufene ständige Dialog zwischen der katholischen Kirche und der „Islamischen Weltliga“ stellt keine Zusammenarbeit zur Erreichung gemeinsamer Ziele dar, sondern einen Versuch, den von islamischen Akteuren ausgehenden Konflikten mit diplomatischen Mitteln zu begegnen.
Prinzipiell möglich wäre hingegen eine Zusammenarbeit mit liberalen Strömungen im Islam, die anders als die Mehrheitsströmungen auf konfrontative Positionen gegenüber dem Christentum verzichten. Hier gibt es gemeinsame Interessen, zum Beispiel was die Abwehr radikaler Strömungen im Islam angeht, die sowohl für Christen als auch für nicht-islamistische Muslime eine Bedrohung darstellen.